DIE PRAXIS VON WEISHEIT UND MITGEFÜHL

Als der Buddha gebeten wurde, seine Lehre möglichst kurz zusammen­zufassen, sagte er: «Früher wie heute lehre ich nur dieses eine: Leiden, und das Ende des Leidens – die wahre Befreiung des Herzens.»

So einleuchtend und einfach diese Aussage auch klingen mag, so vielschichtig und komplex gestaltet sich deren Umsetzung für unser Leben.

Unsere geistigen Gewohnheiten

Geistige Prägungen und Gewohnheiten, welche uns immer wieder quälende Emotionen und schwierige Gefühle in allen Facetten erfahren lassen, sind tief in den Stoff unseres Lebens eingewoben.
Wir kennen sie alle als Angst, Besorgtheit oder Unzufriedenheit, als Ablehnung oder Hass, als Verlangen oder als Unersättlichkeit. Oder einfach als dumpfes Gefühl, «im falschen Film» zu sein.

Die wahre Befreiung von Herz und Geist

Das tatsächliche Beenden aller schmerzhaften Gefühle lässt sich weder durch blosses Wunschdenken noch durch ein theoretisches Verstehen erreichen. Es ist erforderlich, dass wir auch unsere tieferen Schichten, unser Herz und unseren Geist, durch eine Übungspraxis verändern.

Methoden der Erkenntnis-Meditation (Vipassana)

Durch die einfachen Methoden der burmesisch-westlichen Erkenntnis-Tradition können wir lernen, Herz und Geist direkt zu erforschen und unsere Erfahrung klarer zu sehen (Vipassana):

  • Achtsamkeits- und Einsichtsübungen mit Hilfe von Körper, Atem, Sinnen, Gefühlen und Emotionen, Gedanken
  • Trainieren von offenen Geisteszuständen wie liebevoller Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Gelassenheit
  • Reflexionen und Kontemplationen über unsere Motivation und Ausrichtung, zum Beispiel über Bodhicitta, eine altruistische Lebenseinstellung, mit welcher wir für alle Lebewesen inklusive uns selbst hilfreich und unterstützend sein wollen
  • Anwendung in formaler Sitz- und Gehmeditation und bei allen Handlungen im täglichen Leben.

Durch das regelmässige Üben erkennen wir nach und nach, dass unsere Sicht der Wirklichkeit von Täuschungen geprägt ist und dass es diese getäuschte Wahrnehmung ist, die all unsere Probleme verursacht.

Zur getäuschten Wahrnehmung gehört etwa, dass wir uns selbst als getrennt von der Welt erfahren, dass wir die Welt in statische und fixe «Dinge» aufteilen und dass wir von den Dingen selber Befriedigung erwarten, statt zu sehen, wie Zufriedenheit oder Frustration von unserer Beziehung zu den Dingen abhängt.
Wir erfahren innere Befreiung in dem Masse, in dem wir lernen, die Wirklichkeit anzunehmen und nicht mehr an unserer getäuschten Wahrnehmung festzuhalten.

Erforschen und Schulung von Herz und Geist

Der Prozess der inneren Befreiung wird ermöglicht, indem wir …

  • uns darin üben, von Moment zu Moment möglichst wach und direkt mit unserer Erfahrung präsent zu sein
  • sowohl Sammlung und ruhevolles Verweilen als auch nicht-wertende, stetige Achtsamkeit kultivieren.

Sammlung, Achtsamkeit und eine erlaubende, interessierte Haltung zu unseren Erfahrungen sind wirkungsvolle Instrumente, die uns nach und nach auch tief eingewobene, nicht-hilfreiche geistige Gewohnheiten und Konditionierungen erkennen lassen.

Gleichzeitig werden etwa heilsame Herzens- und Geistesqualitäten gefördert. Diese Praxis beinhaltet beispielsweise das bewusste Wahrnehmen und Kultivieren von Wertschätzung und Wohlwollen von Mitgefühl, Mitfreude, liebevoller Gelassenheit, Geduld und von Grosszügigkeit.

Die Qualitäten von Weisheit und Mitgefühl

Weisheit und Mitgefühl werden oft in einem Atemzug genannt. Sie bilden die essentiellen Qualitäten, die in der Praxis kultiviert werden.
Unter Weisheit fassen wir alle erkennenden Aspekte zusammen. Es geht dabei nicht um eine begriffliche Information, sondern um eine unmittelbar erfahrene, intuitive und befreiende Einsicht in die universalen Merkmale unserer Wirklichkeit:
Alles existiert auf prozesshafte, unbeständige Art und Weise. Unser Erleben ist in dem Sinne unzulänglich, als es keine Erfahrung gibt, die uns dauerhafte Befriedigung schenken kann. Und letztendlich sind alle Lebewesen, Dinge, Umstände ohne fassbaren oder unabhängigen Wesenskern.
Unter Mitgefühl können wir alle Qualitäten zusammenfassen, die anerkennen, dass ausnahmslos alle Lebewesen danach streben, Glück zu erlangen und Leiden zu vermeiden.

Durch erkennende Weisheit sind wir innerlich frei.
Durch Mitgefühl nehmen wir unsere Verantwortung uns selbst und allem Leben gegenüber wahr.

Bodhicitta – eine altruistische Lebenseinstellung

Bodhicitta (Geist des Erwachens) ist eine altruistische Herz- und Geistesschulung. Das Kultivieren von Weisheit und Mitgefühl geschieht mit der Absicht, für andere Lebewesen unterstützend zu sein. Durch das Entwickeln eigener innerer Qualitäten und dank zunehmender innerer Freiheit können wir unser Handeln geschickter und hilfreicher für andere Menschen, Tiere und die gesamte Mitwelt gestalten.